Spanische Wurstwaren · Geschmackserlebnis · Chorizo oder Salchichón · Würze & Reifung
Ein Sommermoment auf Mallorca – und die Frage, die blieb
Es war ein warmer, fast träger Nachmittag auf Mallorca. Die Luft war erfüllt vom Duft reifer Feigen, sonnengewärmter Piniennadeln und einer Prise Meersalz. Wir schlenderten ohne Ziel durch einen Wochenmarkt in einem kleinen Ort im Landesinneren. An einem Stand, halb beschattet von einem Leinentuch, fiel mein Blick auf ein handbeschriftetes Holzschild: "Salchichón Artesano". Daneben: dicke Würste, rustikal gebunden, leicht mehlig von der Reifung, mit sichtbaren Pfefferkörnern unter dem Naturdarm.
Ich bat um eine Scheibe zum Probieren. Die Señora hinter dem Stand – wettergegerbt, aber herzlich – schnitt langsam eine hauchdünne Scheibe ab. Sie reichte sie mir mit einem Nicken. Und was dann geschah, war für mich als Feinkostprofi fast schon magisch: Diese Scheibe war zart, fein-würzig, mit einem klaren Hauch schwarzem Pfeffer, einem butterweichen Biss und einer überraschenden Frische. Ich wusste sofort – das hier ist keine Chorizo. Aber was dann genau? Zurück zu Hause habe ich das gute Stück auf der Berkel aufgespannt – für den perfekten Anschnitt. Und dabei stellte sich mir die Frage, die seither in mir arbeitet: Was ist eigentlich der genaue Unterschied zwischen Chorizo und Salchichón – zwei Würsten, die sich ähneln und doch grundverschieden sind?
Eine kleine Geschichte spanischer Wurstkultur
Spanien hat eine der ältesten und vielfältigsten Wursttraditionen Europas. In fast jeder Region gibt es eigene Rezepturen, Trocknungsbedingungen und Gewürzmischungen. Das liegt nicht nur an der kulturellen Vielfalt des Landes, sondern auch an seiner Geografie: Im heißen Andalusien werden Würste anders hergestellt als im kühlen Hochland von Kastilien oder in den feuchten Pyrenäen.
Schon seit der Römerzeit wurde in Spanien gepökelt, getrocknet, geräuchert – um Fleisch haltbar zu machen. Mit der Entdeckung Amerikas kam dann der entscheidende Impuls: der Paprika. Er wurde schnell zum prägenden Gewürz vieler regionaler Spezialitäten – und ist bis heute das, was wir mit echter Chorizo verbinden.
Salchichón hingegen hat seine Wurzeln im altrömischen Lucanica – einer luftgetrockneten Wurst, die mit Pfeffer, Knoblauch und Kräutern gewürzt war. Diese Tradition überdauerte die Jahrhunderte und wurde in Spanien zur eleganten Schwester der Chorizo. Während Chorizo laut, rot und würzig auftritt, zeigt sich Salchichón feiner, subtiler und deutlich variabler.
Chorizo – Die Würzige mit Paprikaseele
Der Name Chorizo lässt selbst Laien an eine knallrote Wurst denken – und das zu Recht. Ihr Herzstück ist der Pimentón, ein geräucherter Paprika, der je nach Sorte mild-süß oder feurig-scharf ausfallen kann. Dieser Paprika ist es, der Chorizo ihre unverkennbare Farbe und den typischen Geschmack verleiht.
Die Fleischmasse besteht meist aus grob gehacktem Schweinefleisch mit sichtbaren Speckstücken. Gewürzt wird mit Paprika, Salz, Knoblauch und manchmal Oregano oder anderen Kräutern. Der Geschmack ist warm, rund, kräftig – ein Statement. Je nach Region wird Chorizo zusätzlich geräuchert (z. B. in Asturien), oder einfach luftgetrocknet (z. B. in La Rioja).
Für mich als Fachmann ist Chorizo mehr als eine Wurst: Sie ist eine Persönlichkeit. Sie ist wie Flamenco auf dem Gaumen – expressiv, kräftig, lebendig. Ob als Tapa, in Scheiben aufgeschnitten, gegrillt, angebraten oder in Eintöpfen – sie bleibt nie im Hintergrund.
Salchichón – Die Feinwürzige mit Tiefe
Salchichón ist oft die stille Verführerin auf dem Tapas-Teller. Während Chorizo mit Farbe und Würze punktet, verführt Salchichón mit Textur und Balance. Der Unterschied beginnt schon bei der Verarbeitung: Das Fleisch ist feiner gehackt, fast cremig. Der Fettanteil ist oft hoch, was ihr ein weiches Mundgefühl verleiht. Gewürzt wird mit schwarzem Pfeffer (ganz oder gemahlen), manchmal auch mit Muskat, Koriander oder Knoblauch. Aber niemals mit Paprika.
Die Reifung dauert meist länger als bei Chorizo. Salchichón braucht Zeit – aber sie lohnt sich. Ihre Aromen entwickeln sich langsam, mit Tiefe und Eleganz. Sie erinnert mich an klassische Musik: strukturiert, geschichtet, voller Nuancen.
Herkunft & Regionen
-
Chorizo ist vor allem im Norden Spaniens zuhause: Navarra, La Rioja, León – dort, wo Paprika angebaut und geräuchert wird. Jede Region hat ihre eigene Handschrift.
-
Salchichón findet man oft im Osten und Zentrum – in Katalonien, Aragon, Kastilien. Berühmt ist etwa der Salchichón de Vic aus Katalonien – DOP-geschützt und mit besonders langer Reifung.
Es ist also kein Zufall, dass beide Würste aus unterschiedlichen kulinarischen Kontexten stammen. Chorizo steht für das rustikale, herzhafte Spanien – Salchichón für das feine, nuancierte.
Persönliches Fazit – Und was ich dir empfehle
Als jemand, der mit der Berkel groß geworden ist, der das Aufschneiden als kleine Zeremonie begreift, kann ich dir nur raten: Gönn dir beide.
-
Chorizo, wenn du Lust auf etwas Lautes hast – für gesellige Abende, deftige Gerichte, ein Glas Rotwein und einen Hauch Rauch in der Luft.
-
Salchichón, wenn du Zeit hast – für ruhige Momente, ein gutes Baguette, ein Stück Manchego und ein Glas Tempranillo.
Und wenn du das nächste Mal über einen spanischen Markt schlenderst und dir eine Señora mit einem Lächeln eine Scheibe anbietet – nimm sie. Du weißt nie, welche Geschichte dahinter steckt.